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Marktsimulationen mit Conjoint-Analysen

Johannes Lüken / Dr. Heiko Schimmelpfennig

Marktsimulationen ermöglichen die Prognose der Auswirkungen von Produkt- und Preisvariationen auf Marktanteile und andere ökonomischen Größen. Dazu liefert die Conjoint-Analyse mit der für jeden einzelnen Befragten ermittelten individuellen Nutzenstruktur die notwendige Datenbasis.

 

Grundlegendes Vorgehen

Im Rahmen der im Conjoint-Modell enthaltenen Merkmale und Ausprägungen werden Produkte definiert und zu einem Set zusammengestellt. Bei metrischen Merkmalen ist man dabei nicht auf die abgefragten Ausprägungen beschränkt. Durch eine Interpolation können auch Ausprägungen zwischen den betrachteten Stufen berücksichtigt werden. Eine Extrapolation über das kleinste bzw. größte abgefragte Level hinaus sollte aber allenfalls bis zu einer halben Breite des Intervalls zwischen zwei Ausprägungen erfolgen. Für jedes der Produkte wird durch die Summe der individuellen Teilnutzenwerte der jeweiligen Merkmalsausprägungen ein Gesamtnutzenwert für jeden Befragten bestimmt.

Anschließend wird überprüft, wie jeder Einzelne reagiert, wenn genau dieses Set an Alternativen zur Auswahl steht. Dazu bedarf es einer Annahme über das Entscheidungsverhalten der Befragten. Gleichgültig welche der im Folgenden dargestellten Auswahlregeln zugrunde gelegt wird, ergeben sich die „Marktanteile“ schließlich durch die Mittelwerte der individuellen Auswahlwahrscheinlichkeiten für die Alternativen. Zu beachten ist, dass sich diese berechneten „Marktanteile“ nur auf den Markt beziehen, der durch die berücksichtigten Produkte definiert ist.

 

Entscheidungsregeln

Die First Choice-Regel nimmt an, dass ein Befragter sich für das Angebot entscheidet, das für ihn den höchsten Gesamtnutzenwert erzielt. Für diese Alternative ist seine individuelle Auswahlwahrscheinlichkeit gleich eins, für alle anderen gleich null – auch wenn deren Gesamtnutzenwerte nur geringfügig schlechter sind. Nur bei Alternativen mit exakt demselben Gesamtnutzenwert verteilen sich die Auswahlwahrscheinlichkeiten gleichmäßig auf diese Alternativen. Während diese Regel bei extensiven und habituellen Kaufentscheidungen grundsätzlich angemessen ist, widerspricht sie dem Verhalten bei impulsiven oder limitierten Kaufentscheidungen, in denen die Auswahl nicht eindeutig determiniert ist.

Im Gegensatz zur First Choice-Regel geht die Share of Preference-Regel davon aus, dass für einen Befragten alle Alternativen eines Sets in Frage kommen. Die Auswahlwahrscheinlichkeiten verteilen sich auf die konkurrierenden Angebote gemäß der Höhe der Gesamtnutzenwerte. Die Relation des Gesamtnutzenwertes einer Alternative zu der Summe all dieser Werte der Alternativen eines Szenarios bestimmt unter Berücksichtigung der Einstellung zusätzlicher Parameter die individuelle Auswahlwahrscheinlichkeit. Das Verfahren weist jedoch Schwächen auf, wenn Produkte in einem Set ähnlich sind. Die resultierenden Anteile solcher Produkte sind dann unrealistisch hoch.

Die Randomized First Choice-Methode berücksichtigt, dass es zufallsbedingte Einflüsse auf die Auswahl geben kann. Für jeden Befragten werden mehrere First Choice-Berechnungen durchgeführt. Bei jeder dieser Iterationen werden Zufallswerte zu den Nutzenwerten hinzuaddiert, so dass auch Alternativen mit ursprünglich geringerem Gesamtnutzen die gemäß First Choice beste Alternative werden können. Die individuelle Auswahlwahrscheinlichkeit einer Alternative ist dann bestimmt durch das Verhältnis der Anzahl der Iterationen, in denen sie die beste war, zu der Anzahl aller Iterationen. Wie die Share of Preference-Regel geht die Randomized First Choice-Methode von keiner eindeutigen Wahl des Befragten aus, vermeidet aber bei sinnvoller Spezifikation der Modellparameter die Überschätzung der Anteile ähnlicher Produkte.

 

Typische Anwendungen

Marktsimulationen ermöglichen vor allem „was wäre, wenn …“-Betrachtungen. Ausgehend von einem Anfangsszenario lassen sich die Auswirkungen von Veränderungen des Preises oder anderer Merkmale eines oder mehrerer Produkte auf die Anteile oder Umsätze aller Produkte bestimmen. Bei Berücksichtigung von Kosten für die Merkmalsausprägungen können auch Gewinne prognostiziert werden.

Ferner sind Marktsimulationen hilfreich zur Untersuchung der Auswirkungen der Einführung neuer Produkte, um zum Beispiel Kannibalisierungseffekte zu identifizieren, bzw. die grundsätzliche Akzeptanz eines neuen Produktes zu überprüfen.

Neben solchen Simulationen der Auswirkungen möglicher Veränderungen einer realen oder fiktiven Marktsituation lassen sich auch Analysen mit dem Ziel durchführen, die durch die Nachfrager wahrgenommenen geldwerten Vor- oder Nachteile von Produktfeatures zu erkennen. Typischerweise werden hierfür zwei identische Produkte definiert. Eines wird in der zu untersuchenden Komponente verändert und im Preis kontinuierlich variiert. Bei einer Produktverbesserung wird der berechnete Wahlanteil bei gleichem Preis zunächst höher sein als der des Originalproduktes. Eine Erhöhung des Preises führt dann zu einer Verringerung des Anteils. Der Preispunkt, an dem das Original- und das modifizierte Produkt den gleichen Marktanteil erzielen, zeigt die subjektive geldwerte Differenz seitens der Nachfrager.

 

Optimierung von Produkten

Eine mögliche Aufgabenstellung besteht darin, ein einzelnes Produkt oder ein Portfolio aus mehreren Produkten im Hinblick auf maximalen Absatz, Umsatz oder Gewinn zu optimieren. Aufgrund der schnell ansteigenden Anzahl möglicher Kombinationen aus Merkmalsausprägungen und Preisstellungen sind manuelle Vorgehensweisen hierbei häufig unpraktikabel. Simulationstools bieten daher die Möglichkeit, solche Optimierungen zu automatisieren.

 

 

Justierung des Modells

Je weniger berechnete „Marktanteile“ eines Szenarios von den entsprechenden realen Marktanteilen abweichen, desto valider ist das Conjoint-Modell. Allerdings wird es eine exakte Übereinstimmung kaum geben können, da im Allgemeinen ein Modell die Realität nicht vollständig abbildet. Bei der Share of Preference-Regel oder der Randomized First Choice-Methode können jedoch in den meisten Fällen durch eine Justierung der Parameter die mit Hilfe des Modells bestimmten „Marktanteile“ sehr weit an die reale Marktsituation angepasst werden. Somit gelingt es, eine Ausgangsbasis für realitätsnahe Simulationen zu schaffen, ohne die Datenbasis zu verändern.

Beitrag aus planung&analyse 12/4 in der Rubrik „Statistik kompakt“

 

Autoreninformation

Johannes Lüken war bis 2021 Leiter des Bereichs Multivariate Analysen bei IfaD.

Prof. Dr. Heiko Schimmelpfennig ist Projektleiter für Multivariate Analysen bei IfaD, Institut für angewandte Datenanalyse, sowie Professor für Betriebswirtschaftslehre an der BiTS, Business and Information Technology School, Hamburg. Er ist bei IfaD schwerpunktmäßig für die Beratung, Anwendung und Schulung dieser Verfahren verantwortlich und vertritt in der Lehre das Gebiert der Quantitativen Methoden der Wirtschaftswissenschaft.

 

Literatur

Green, P. E.; Krieger, A. M.: Choice Rules and Sensitivity Analysis in Conjoint Simulators. In: Journal of the Academy of Marketing Science, Jg. 16/1988, Nr. 1, S. 114-127.

Huber, J.; Orme, B.; Miller, R.: Dealing with Product Similarity in Conjoint Simulations. In: Sawtooth Software Conference Proceedings, Sequim, 1999, S. 253-266.

Orme, B.: Market Simulators for Conjoint Analysis. In: Getting Started with Conjoint Analysis: Strategies for Product Design and Pricing Research, 2. Auflage, Madison, 2010, S. 89-103.

Skiera, B.; Gensler, S.: Berechnung von Nutzenfunktionen und Marktsimulationen mit Hilfe der Conjoint-Analyse (Teil 2). In: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Jg. 31/2002, Nr. 5, S. 258-263.

 
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